Ich möchte Ihnen berichten, was ich am 5. Juli 1951 in Schönstatt erlebt habe. Das war ein großes Ereignis! Mein Vater und ich weilten in diesen Julitagen gerade in Schönstatt. Während ich an den Exerzitien der Liga teilnahm, war mein Vater gut untergebracht in einem Privathaus. Er forschte nach dem Schönstattgeheimnis und betete oft im Urheiligtum. So kam es auch, daß wir beide den großen Tag der Ostsendung gemeinsam erleben durften. Am Vormittag des 5. Juli 1951 fand in der Wallfahrtskirche ein feierlicher Gottesdienst im Ostritus statt. Der Augustiner, Herr Pater Mitnacht aus Würzburg, war der Zelebrant. Er berichtete uns, daß er viele Jahre im Osten gelebt habe und die Mentalität, auch die Gebräuche, des russischen Volkes genau kenne. Die alte Wallfahrtskirche war festlich geschmückt. Im Altarraum standen mehrere Ikonen, in bunter Pracht aufgestellt. Auf der rechten Seite hatten die Theologiestudenten Platz genommen. Wir hatten unseren Platz im Mittelschiff. Die Wallfahrtskirche war überfüllt. Dann begann die hl. Feier mit vielen Psalmen und Lobgesängen. Immer wieder wurden die Gottesmutter, Engel und alle Heiligen verehrend angerufen. Die Opfergaben und Ikonen wurden öfters mit Weihrauch beräuchert zur besonderen Verehrung. Die ganze Feier stimmte zur Besinnung und Andacht. Dazu die ostkirchlichen Gesänge der Studenten der Hochschule, die sich für die Ostsendung vorbereitet hatten. Es waren meisterhafte Klänge, wirklich ein musikalischer Hochgenuß. Zutiefst ergriffen waren wir auch, als wir die hl. Kommunion unter beiderlei Gestalten empfangen durften. Man erlebte dabei den Gründonnerstag und fühlte sich gleichsam in den Abendmahlssaal versetzt. Zum Schluß des Gottesdienstes wurde an alle Gläubigen gesegnetes Brot ausgeteilt. Mein Vater hat die ganze Feier miterlebt. Das gesegnete Brot hat er jahrelang als kostbares Andenken wie ein Kleinod aufbewahrt. Als wir nach der Feier den Berg zum Exerzitienhaus hinaufstiegen, war es bereits Mittag.
Am Nachmittag war die feierliche Segnung des Ostkreuzes, verbunden mit der Aussendung der Studenten, die sich für den Osten einsetzen wollten. Während dieser Feierstunde sprach der General der Pallottiner, Pater Turowski, und unser Gründer Pater Kentenich. Wir hörten ihn zum ersten Mal. Er sprach begeistert vom Liebesbündnis mit der MTA (der Dreimal Wunderbaren Mutter): Daß die Gottesmutter ihren Siegeszug in Ost und West halten möge und das russische Volk sich bekehrt. Für dieses Anliegen lohnt es sich, sich ganz hinzuopfern. Wir müssen mit dem Heiland den Kreuzweg gehen und mit ihm am Kreuz hängen. Zur Bekräftigung seiner Worte breitete Herr Pater seine Arme weit aus. Diese Gebärde hat mich zutiefst erschüttert. Ich erschrak fast vor der Kreuzesliebe, die Herr Pater da zum Ausdruck brachte. Ja, er hat es uns vorgelebt. Sein ganzes Leben war ein Leben der liebenden Hingabe. Gewiß hat er seinen Beitrag für Rußland geleistet und sich für die Bekehrung Rußlands eingesetzt. Wir ahnten damals noch nicht, in welch schwieriger Lage sich unser Gründer befand. Bald zeigte es sich, daß sein Kreuzweg begann. Es folgten die vierzehn Jahre der Trennung von seinem Werk. Die Feierstunde hatte nun ihren Höhepunkt erreicht. Nachdem das russische Kreuz gesegnet war, wurde es in feierlicher Prozession ins Urheiligtum getragen. Herr Pater Mitnacht, mit dem Chormantel bekleidet, trug das Ostkreuz voran. Ihm folgten Herr Pater General Turowski, unser Gründer, Pater Josef Kentenich, mehrere Pallottiner, Marienschwestern und andere Gläubige. Während der Übertragung hat mein Vater Herrn Pater aus nächster Nähe gesehen. Er war auch ganz erfüllt von seiner priesterlichen Persönlichkeit. Er war ganz stolz, ihn erlebt zu haben ... So erlebte ich mit meinem Vater gemeinsam Schönstatt.