Über die Einweihung des neuen Altares ist ein Bericht erhalten geblieben, den wir der Frauenzeitschrift „Altera Maria“, Mai 1934, Heft 2, S. 38 ff. entnehmen.
„Es geht uns Frauen wohl immer so: Wir hängen so sehr an dem, was war und wie es war und leiden stille Schmerzen, wenn wir etwas hergeben müssen, mit dem uns tausend feine Herzensfäden verbanden. Und wenn das Neue auch wertvoller und kunstreicher und würdiger ist, wir müssen uns gewöhnen, manchmal schwer gewöhnen, weil wir uns gemüthaft von dem Altgewohnten lösen müssen. Es braucht eine Zeit, bis wir im Ungewohnten heimisch werden, bis unser Herz wieder den Kontakt zum Neuen findet, jenen Kontakt, der um so fester bindet, je tiefer unsere feinsten Herzensbeziehungen zum Neuen werden.
Das haben gewiß viele Bundesschwestern mit mir empfunden, als wir in den Kartagen zum ersten Male vor dem neuen Altare unserer lieben Mutter im Heiligtume knieten. Es kam zunächst so etwas wie ein Fremdsein über das Herz, eine leise Verwirrung. Genau so habe ich als Kind einmal empfunden, als ich mein geliebtes Mütterchen schmerzlich von einer Reise zurückerwartete und sie durch die Türe trat anstatt im gewohnten schlichten Hauskleide in einem prächtigen neuen modischen Kleide. Da wehrte sich erst scheu mein Kinderherz: „Die geschmückte feine Dame kann die Mutter nicht sein!“ Aber als ich ihre vertraute Stimme hörte, ihr ins liebe Antlitz sah und ihre guten Hände fühlte, wußte ich es: Das ist ja doch die Mutter, dieselbe Mutter, die fortging, und schön ist sie wiedergekommen, ganz schön!
Es bleibt wohl mehr oder minder etwas vom Kindsein in der verschwiegensten Herzenskammer stecken; denn es ging hier genau so wie damals. Erst das Fremdgefühl ... und schließlich das frohe: „Ich bin doch bei der Mutter!“
Ja, trotz des neuen Altares, dieses prächtigen neuen Kleides, lächelte die Himmelsmutter lieb und gut wie immer hernieder, fast noch gütiger und zarter, weil sie wußte, daß ihre Kinder, die da vor ihr knieten, so ein kleines Herzweh in aller Freude auskosten mußten, daß sie das Fremdsein überwinden mußten. Aber in der stillen, überströmenden Freude, einmal wieder daheim sein zu dürfen, versank allmählich alles Fremdsein, alles Ungewohnte. Das Herz war wieder daheim bei der Mutter, das müde Kind, das von den lauten, unruhigen Straßen des Lebens kam, fand bei ihr Heimat und Frieden. Die Seele brach die Brücken ab zu dem unrastigen Zeitgeschehen und betrat heiliges Land, versank im heiligen Schweigen der übernatürlichen Welt. Sie atmete wieder die gnadenerfüllte Atmosphäre des Heiligtums und trieb die Umwelt vergessend auf den uferlosen Strömen der Gnade hinein in die geheimnisvollen Seligkeiten Gottes.
Mit jedem folgenden Besuch im Kapellchen nahm man mehr Abschied vom Gewesenen, und jede Gnadenstunde im Heiligtume knüpfte Herzensfäden zum Neuen. Die Hauptsache war: das Bild war dasselbe geblieben, jenes schlichte Bild der Mutter mit dem Kinde, das unsern Heldensodalen so teuer war und ihnen und uns der Inbegriff der sichtbar gewordenen Gnadenstätte Mariens wurde. Mag unser Bild noch so kindlich schlicht und ohne künstlerischen Wert sein, unsere Herzen hängen an dem Bilde von der Gnadenstunde an, die uns an der Mutter Hand tief hineinführte in die übernatürliche Wunderwelt unseres Heiligtumes. Und je größer unsere Begnadigung war, um so mehr hängen wir an diesem Bilde, und je tiefer wir Schönstatt verstanden haben, und je weiter unsere übernatürliche Schau sein durfte, um so inniger fühlen wir uns mit dem Gnadenbilde verbunden.
Wir hatten den alten Altar lieb, weil die Erinnerung ihn uns teuer machte, und wenn er noch so schmucklos, noch so wertlos war, wir hingen an ihm. Es ist ja nun mal die Schwäche und auch zugleich die Stärke der Frau, daß sie so traditionsgebunden ist. Wir hatten den alten Altar lieb, wie wir das einfache Werktagskleid unserer leiblichen Mutter gern hatten, weil es ihr Arbeits und Sorgenkleid war. Der alte Altar war nur ein primitives Brettergestell, nicht geziemend und würdig genug, unser Gnadenbild zu hüten. Aber er war so schlicht wie das Bild selbst. Doch weil er Zeuge jenes großen Geschehens gewesen war, das uns Schönstatt schenkte, machte ihn uns wert. Daß unsere Heldensodalen vor ihm gekniet haben, daß sie mit den ungeschickten Händen großer Buben ihn so rührend zärtlich für ihr Mütterchen geschmückt haben, machte ihn uns lieb. Wie sorglich unbeholfen wohl Joseph Engling den Wald blühender Schlehdornzweige, wie wir jetzt noch gelegentlich hörten, in den schönen Frühlingstagen vor zwanzig Jahren aufgebaut hat, um die kahle Armut des Altares zu verbergen! ...
Jetzt hat die Schwester Sakristanin weniger Arbeit mit dem Schmucke. Der neue Altar ist reich und ein Schmuckstück ohne große Zierde. Ein prächtiger Barockaltar mit gewundenen Säulen, mit reichem Schnitzwerk, geflügelten Engeln (Neben dem Tabernakel stand rechts und links je ein Anbetungsengel, die dann mehr als ein Jahr später durch die Apostelfiguren ersetzt wurden.) und mit krausem Blättergerank und quellenden Trauben vor den Tabernakeltüren trägt jetzt das Gnadenbild. Es wirkt alles etwas wuchtig in dem kleinen Kapellchen, ein wenig zartere Formen wären mir lieber gewesen. Der funkelnde Kerzenschimmer und die leuchtenden Flammen der gelben Frühlingsblumen malen warmen Goldton auf das dunkle Eichenschnitzwerk. Eigenartig und ein Werk der Vorsehung ist es, wie man zu dieser Form des Altares kam. Der Künstler, der den Entwurf schuf, erkannte in der früheren Kommunionbank das Stück eines Altaraufsatzes. Die reich geschnitzte Kommunionbank fiel ja schon immer merkwürdig in dem schlichten Kapellchen auf. Woher sie stammt, weiß man nicht, aber die eingeschnitzten Wappen werden uns wohl bald Zeit und Ort der Entstehung feststellen lassen.
Diese Kommunionbank, an der unsere Heldensodalen und alle Heimgegangenen unserer lieben Schönstattfamilie so oft gekniet haben, um aus den Mutterhänden Mariens ihr Kindlein in Brotsgestalt zu empfangen, hat nun für immer eine würdige Stätte auf dem Gnadenaltar gefunden. Und dieser Umstand ist allen jenen lieb, die sich schwer an das Neue gewöhnen konnten, die unser Heiligtum mehr mit dem Herzen als mit den Sinnen aufnehmen und erleben.
Der Altar ist also nicht ganz neu und unbeseelt. Er hat seine Geschichte, es ranken sich Erinnerungen um ihn. Je öfter wir vor ihm knien, um so mehr wird er unser werden. Sein dunkles Holz muß sich gleichsam erst vollgesogen haben von all den inbrünstigen Gebeten ungezählter Herzen, die sich hier in Liebe und heiligem Glauben verströmen; er muß erst ganz ehrwürdig werden, daß er uns mehr ist als ein schönes, stilvolles Kunstwerk. Die goldene Brücke dazu finden wir in dem bekannten Teil des Altares, der uns durch Jahre hindurch schon vertraut und wert war.
Auch die Fenster, die bis jetzt nur ganz primitiv waren, sind schön und sinnvoll erneuert.
Im linken Fenster neben dem Altar (Evangelienseite) thront das Christuszeichen.
Das Fenster rechts ihm gegenüber trägt den Namenszug der Mta in künstlerischer, feiner Ausführung.
Das sagt uns, daß Christus und Maria zusammengehören. Wie sie im Leben unzertrennlich verbunden waren in engster Lebensgemeinschaft, in innigster Liebesgemeinschaft und tiefster Schicksalsgemeinschaft, so ist ihre Verehrung nicht voneinander zu trennen. „Durch Maria zu Christus!“ ruft uns die symbolische Sprache der Fenster zu.
Im linken Fenster, nahe der Tür, sieht man das Kapellchen, das auf einem Schwerte steht. Das Kapellchen versinnbildet die Gnade, das Schwert den Kampf gegen unsere Leidenschaften und gegen das Böse in der Welt, also die Mitwirkung mit der Gnade, und damit ist die Apostolische Bewegung symbolisch dargestellt.
Im gegenüberliegenden Fenster sehen wir das Pallottinersymbol, das Kreuz mit dem hellstrahlenden Stern, das Licht des Kreuzes, das hineinleuchtet in das Dunkel der Welt. Das Zeichen der Apostolischen Bewegung drüben im Fenster und das Symbol der Pallottiner hüben gehören zusammen, weil beide zusammenwirken sollen. Die Idee, die in unserer Bewegung um Verkörperung ringt, verwirklicht auch das in feinster Weise, was Vinzenz Pallotti gewollt, seine Idee ist in der unseren ausgebaut, weitergeführt und den Zeitbedürfnissen angepaßt.
Der 9. April, der uns in diesem Jahre die Feier des Festes Maria Verkündigung brachte, sollte der Weihetag des neuen Altares sein. Zugleich sollte das Kapellchen, das bislang dem hl. Michael geweiht war und bei dem die liebe Gottesmutter bis jetzt ‚in Miete’ wohnte, wie der H. H. P. Provinzial in seiner Ansprache sagte, auf den Titel der Maternitas Mariae geweiht werden.
Im Jahre 1931, als man die 1500jährige Wiederkehr des Tages von Ephesus beging, an dem man Christus als ‚Wahrhaft Gott’ und Maria als ‚Gottesgebärerin’ feierlich verkündigte, wurde vom Heiligen Vater Pius XI. das Fest der Mutterschaft Mariens für den 11. Oktober angeordnet. Der Oktavtag dieses Festes ist für uns der Tag der Gründung des Gnadenkapitals, der 18. Oktober. Eine Festwoche besonderer Bedeutung werden für uns also in Zukunft die Tage vom 11. bis 18. Oktober sein.
Es war ein wundersam schöner, zarter Frühlingsmorgen, als sich eine große Festgemeinde am 9. April um unser Heiligtum scharte. Perlmutterblaß lagen die feinen Nebelschleier der Rheinebene über dem jungen Tag. Die Hänge trugen zartflaumiges, seidiges Grün. In weißroten, knospenden Blütenträumen lehnten drüben die Obstbäume an der grauen Klostermauer. Um das Kapellchen blühten Veilchen und Osterblumen, und auf dem Beete standen die Stiefmütterchen in festlichem Samtkleide. Die Morgensonne strickte schimmernde Goldnetze um die Bergkuppen. Feierliches Schweigen lag auf dem großen Platze neben dem Heiligtum, wo sich Marien und Bundesschwestern und zahlreiche Gäste versammelt hatten. Das Glöcklein im kleinen Turme bimmelte froh in den Morgen hinaus, die Buchfinken und Meisen flöteten, ein paar wilde Tauben gurrten, und ein Kuckucksruf läutete durch die Stille.
Der H. H. P. Provinzial Baumann schritt in festlichem Ornat, umgeben von den Patres und einigen Weltpriestern, zum Kapellchen. Unter den Gesängen der Kleriker und den uralten Segensworten der Kirche weihte er das kleine Heiligtum und den neuen Altar zu Ehren der Maternitas Mariae. Das heilige Opfer, ein feierliches Levitenamt begann, und mit dem Chor der Priester wetteiferten die kleinen Sänger in den Bäumen ringsum. Es war ein Zirpen und Flöten, ein Locken und Jubilieren, ein Dienst der Menschen und der Kreatur zum Lobe des Allerhöchsten.
Nach dem Evangelium bestieg der H. H. P. Provinzial die kleine provisorische Kanzel vor dem Kapellchen. Er führte uns in die graue Vergangenheit dieser geheiligten Stätte, in die Zeit des alten Klosters Schönstatt. Wir hörten die Chronik zum ersten Male von diesem kleinen Heiligtume erzählen, dem die fromme Magd des Priors im Jahre 1319 in ihrem Testamente drei Weinberge schenkte, damit in Zukunft dort immer das heilige Opfer gefeiert werden sollte. Sorgende Frauenhände waren es also, die sich um dieses winzige Kirchlein mühten. Das Gold der Trauben aus ihren Weinbergen sollte in Zukunft rinnen in dem heiligen Kelch auf diesem Altare als das kostbare Opferblut Christi. Die schweren Trauben auf den Tabernakeltüren des neuen Altares erinnern mich noch immer an die fromme Schenkung dieser Frau. Und unwillkürlich mußte ich an die schöne Epistel des Festes der Mutterschaft denken: ‚Einem Weinstock gleich bring ich süße, duftende Früchte hervor, und meine Blüten tragen herrliche Edelfrucht ...’ Wir hörten weiter, wie der unselige dreißigjährige Krieg dieses Heiligtum verwüstete und wie es noch einmal, nachdem es wieder errichtet war, in dem Franzosenkrieg 1812 zerstört wurde.
(Anmerkung: Diese letztere Angabe ist recht ungenau und weckt falsche Vorstellungen. 1812 lagerten weit und breit keine Franzosen in der Gegend von Schönstatt, jedoch 1813/14 deutsche Truppen, die das Kapellchen zweckentfremdet benutzten, es aber nicht eigentlich zerstörten.)
Doch frommer Glaube baute es immer wieder auf den alten Fundamenten auf. Die göttliche Vorsehung und die mütterliche Sorge Mariens schenkten es den Pallottinern und damit schließlich den jungen Heldensodalen, die am 18. Oktober 1914 das wunderbare, kühne Bündnis mit der Gnadenmutter schlossen, das so einzigartig war und so fruchtbar geworden ist, jenes Bündnis, von dessen Erträgen wir täglich zehren und das wir ebenso täglich mehren müssen, damit uns und der kommenden Generation dieses Heiligtum bleibe, was es bis jetzt war: Die geheimnisvolle Gnadenstätte der Dreimal wunderbaren Mutter ...
Der feierliche Weihegottesdienst ging zu Ende. Für manche von uns hieß es, eilig Abschied nehmen. Und es war auch gut so; wenn man schnell Abschied nimmt, wird er meistens nicht so schwer. Einen Blick sandten wir noch ins Kapellchen, einen Gruß zum geliebten Mütterlein. Es war, als hätte uns die Mutter bei dem Scheiden das Wort mitgegeben, das sie in der Epistel ihres Festes vom 11. Oktober so sinnreich sagt: „Ich bin die Mutter der schönen Liebe und der Furcht, der Erkenntnis und der heiligen Hoffnung. Bei mir ist alle Gnade des Wandelns und der Wahrheit. Bei mir alle Hoffnung des Lebens und der Tugend. Kommt alle zu mir, die ihr mich begehret, und sättigt euch an meinen Früchten ... Mein Andenken dauert immer und ewig. Die mich genießen, hungern nach mehr, und die mich trinken, dürsten nach mehr. Wer auf mich hört, wird nicht zu Schanden, und wer um mich sich müht, sündigt nicht. Wer mich verherrlicht, erhält das ewige Leben ...“
„Kommet alle zu mir!“ hatte die Mutter uns nachgerufen. Dieser Ruf singt und klingt in der Seele in geheimnisvoller Melodie und mit sacht zwingender Macht durch den Alltag. Wer einmal in einer gesegneten Stunde der Mutter an ihrer Gnadenstätte begegnet, den läßt ihre Hand nicht mehr los, den ruft sie immer wieder in den Bannkreis ihres Heiligtumes ...
O Dreimal wunderbare Mutter, bring uns immer näher zu Christus und führe uns einstens heim ins himmlische Schönstatt, in den ewigen Frieden.“
Zu den neuen Fenstern des Kapellchens kann noch ergänzend nachgetragen werden: Sie wurden von der Firma Prekel in Köln gemalt; Holzrahmen und Glas stellte die Firma Albert in Pfaffendorf her, das Eisengestell machte die Firma Wertgen, Vallendar. Jedes neue Fenster kostete damals (nach Angaben von P. Mühlbeyer) 112 Mark. Bei der Einweihung des neuen Altars am 9. April 1934 waren die neuen Fenster schon fertig eingesetzt. Diese Angaben sammelte Pater Josef Klein und hielt sie in einem Brief vom 4.3.1984 fest.